© Amadeus Gebauer

Wolfsgeheul am Großvenediger

Skihochtourentraining im Ahrntal

20.03.2025

Ein optimaler Start für Langschläfer: Die Reise nach Südtirol beginnt um 13:41 Uhr ab München Hauptbahnhof. Anfangs sind wir zu fünft: Johannes, Amadeus und Dominik mit unseren Tourenführern Klaus Miebach und Felix Kunzweiler. Bei weiteren Umstiegen kommen Marino und Christian dazu. Nach insgesamt sechs Umstiegen und sechseinhalb Stunden Bahnfahrt erreichen wir zu siebt unseren Startpunkt in Prettau. Gut, dass die Bahn pünktlich ist, haben wir doch morgen bereits unseren längsten Tag vor uns. Tourenplanung steht auch noch an – bei unserem Skihochtourentraining sollen wir Teilnehmer selbst lernen, die Planung und Führung zu übernehmen.

Mit langen Nächten ist es vorbei: Morgens früh bringt uns ein Taxi einige Kilometer und Höhenmeter in den Talschluss, und dann geht‘s los. Dreiherrenspitze (3499 m) und Essen-Rostocker Hütte heißen heute unser Ziele, dabei sind Touren mit 2000 bis 2400 Höhenmetern geplant. Damit alle auch ordentlich was bei dem Training lernen, gehen wir jeden Tag in zwei neu gemischten Gruppen, die, wie Klaus gerne betont, „nichts voneinander wissen“ und sich einfach „ignorieren“ sollen, wenn es um Entscheidungen und Routenfindung geht.  

Der Aufstieg auf die Dreiherrenspitze ist schon gespurt, und weil es ja doch ein langer Tag werden wird, laufen wir der suboptimal gelegten Spur nach. Landschaftlich ist die Tour beeindruckend. Sie führt zur Einstimmung auf die nächsten Tage über einen Gletscher und wartet nach einigen Stunden mit der geplanten Schlüsselstelle auf. Hier heißt es zum ersten Mal von Ski auf Steigeisen wechseln, Ski an den Rucksack, mit Stapfen und leichter Kletterei empor. Mit zunehmender Höhe wird die Tour, aber auch die Luft, leichter, es geht gemütlich und langsam dem Gipfel entgegen.  

Bei der vorderen Gruppe macht sich zwischenzeitlich etwas Sorge breit, es könne Probleme bei der hinteren Gruppe geben, der Abstand ist doch sehr groß geworden. Während der Abfahrt zum Sattel klärt sich die Situation, ein Teilnehmer fühlt sich noch nicht ganz fit und lässt den Gipfel heute aus. In der Abfahrt selbst kommt dann die erste Überraschung: eine unerwartet große Steilstufe, verursacht durch Gletscherschmelze. Gruppe 1 klettert, Gruppe 2 seilt ab. Eigentlich sollte von hier aus eine Gruppe aufsteigen und eine andere weiter abfahren, um die, laut Führer, gefährlichen Spaltenzonen zu umgehen. Tückischer wären bei dem schneearmen Winter und fortschreitendem Gletscherrückgang aber eher unsere geplanten Varianten. Also geht‘s entlang gut sichtbarer Spalten komfortabel Höhe haltend zum Reggentörl. Durch eine Rinne kommen wir zur Essener-Rostocker Hütte, wo ein „all-you-can-eat-Buffet“ auf uns wartet – es ist in der Halbpension inclusive!  

Gut gestärkt starten wir am nächsten Tag zum Großen Geiger (3360 m), der, wie wir gestern bereits gesehen haben, abgeblasen und nur mit Skidepot machbar ist.

Eigentlich ist für den heutigen und morgigen Tag Föhnsturm und schlechtes Wetter angekündigt, doch starten wir erstaunlich windarm mit bester Sicht in den neuen Tag. Erst kurz vor dem Gipfel fängt der Wind an zu blasen, das traumhafte Ambiente können wir trotzdem genießen. Statt lange und monoton zum Türmljoch zu queren, entscheiden wir uns lieber etwas abzufahren und einen Gegenanstieg in Kauf zu nehmen. Dadurch kommen wir, einer Aufstiegsspur folgend, etwas weiter südlich zum vermeintlichen Türmljoch, von welchem wir abfahren. Doch kurze Zeit später stellt Gruppe 1 fest, dass sie auf der falschen Seite des Türmls ist und nochmal aufsteigen muss. Gruppe 2 merkt es früher und schafft es mit einigen Schritten und ohne weitere Umbaumaßnahmen abzufahren. Deutlich schneeärmer als erwartet geht es mit herausfordernder Routenwahl durch steiles Gelände hinab zur Johannishütte.  

Der dritte Tag startet, wie vorhergesagt, mit schlechter Sicht, Schneefall und Föhnsturm. Dieser wurde bei der Routenwahl bereits vor Anreise mit eingeplant und so steht anstelle von Großvenediger und Winterraum der Neuen Prager Hütte der Winterraum des Defreggerhauses auf dem Programm. Beide Gruppen verpassen die Abbiegung in den eigentlich geplante Bachlauf des Zettalumnitzbachs und nehmen den Normalweg zum Defregger Haus. Da die Sicht sich zwischenzeitlich verbessert hat, schafft es eine Gruppe, in den Bachlauf zu queren, die andere geht weiter zum Defreggerhaus. Gruppe 1 schafft es heute trotz widriger Verhältnisse wie geplant auf die Kristallwand (3309 m) und dann sogar weiter auf den Hohen Zaun (3451 m) und die Rainerhornscharte, bevor sie wieder zum Winterraum abfährt. Gruppe 2 startet nach gemütlichem Mittagessen im Winterraum hinein in den Föhnsturm, um auch bei diesen Wetterverhältnissen Führungserfahrung zu sammeln. Ohne die andere Gruppe zu sehen oder zu treffen, geht auch Gruppe 2 zum Hohen Zaun (3451 m) und bricht dann bei der Rainerhornscharte ab. Die Abfahrt im Whiteout auf fast ebenem Gletscher funktioniert dank GPS-Uhr erstaunlich gut. Der Winterraum ist von Gruppe 1 bereits eingeheizt, als Gruppe 2 zurückkommt. Gemütlich wird zusammen Schnee geschmolzen und gekocht.

Nach kurzer Nacht stehen wir morgens um 4 Uhr im kühlen Winterraum auf und starten in unseren letzten Tag. Heute haben wir unsere Königsetappe geplant: Wir wollen auf den Großvenediger und über das Untersulzbachkees ins Pinzgau abfahren. Den Teil bis zur Rainerhornscharte kennen wir ja bereits von gestern. Leider ist bis hierher die Sicht genauso schlecht wie am Vortag. Eine Gruppe geht noch aufs Rainerhorn (3559 m) die andere rutscht ab zum Rainertörl und macht sich daran, den unberührten Großvenediger (3656 m) einzuspuren.  

Der Wettergott ist uns ab hier wohl gesonnen, die Sonne kommt heraus, die Wolken lichten sich teilweise und die Stimmung ist magisch: Bergeinsamkeit, herrliche Lichtspiele, am Gipfel windstill und warm, sodass wir die Rast auch wirklich genießen können. Vor lauter Freude wird ein Wolfsgeheul angestimmt. Nach langem Aufenthalt am Gipfel starten wir in unsere 2800-Höhenmeter-Abfahrt nach Neukirchen.  

Wir haben 30 Zentimeter unzerfahrenen Pulverschnee! Freudenrufe erklingen und wir schwingen anfangs in Richtung Kürsinger Hütte ab. Doch auf halbem Wege haben wir heute die Variante von Klaus und Felix vor: über das sehr spaltige Untersulzbachkees hinab ins Tal. Wir fahren in zwei Gruppen, am Seil an den Spaltenzonen vorbei, ab. Richtig beeindruckt sind wir alle: Im Pulverschnee fährt es sich auch am Seil gut ab. Eine ideale Übung - wir sind ja immer noch im Skihochtourentraining.  

An dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an unsere beiden Tourenführer für so viel Vertrauen und zugesprochene Eigenverantwortung, dass wir auch diesen Teil der Tour selbst führen durften!  

Nach dem Gletscher wird der Schnee weniger und schwerer, die Wegfindung mit durchgängiger Schneedecke wird zunehmend zur Herausforderung. Es geht durch Grünerlen, Lawinenkegel, Lawinenverbauungen, Flussläufe und, weiter unten, Bergwald zäh und fordernd durch immer nasseren Schnee dem grünen Tal entgegen. Irgendwann ist auch das geschafft, der letzte Schnee auf der Forststraße abgerutscht und mit Ski am Rucksack geht es die letzten sieben Kilometer ins Tal. Am Ende spurten wir uns etwas, schaffen ohne Wartezeit den Bus und fahren zurück nach München, wieder ohne Verspätungen - und sogar mit Abschlusspizza in Kufstein.  

Eine rundum gelungene Tour: Wir konnte alle richtig viel lernen, mussten tourentechnisch trotzdem keinerlei Abstriche machen und haben eine anspruchsvolle Durchquerung erfolgreich abgeschlossen. Einfach Klasse!

Dominik Gelsheimer