© Theresa List

Spaltenbergungs-Lektion mit bester Laune

Hochtouren-Training in der Schweiz

14.06.2024

Wer an unserem Kurswochenende Mitte Juni einen Blick in den Schuh- und Materialraum der Albert-Heim-Hütte in den Urner Alpen warf, kam vermutlich etwas ins Grübeln: Neben Seilen und Pickeln befanden sich dort so einige steigeisenfeste Bergschuhe – und nochmal mindestens so viele Touren- Skischuhe und Ski. Ist es denn nun Sommer- oder Wintersaison in den Urner Alpen oberhalb des Furkapasses? Diese Frage schienen die Bergsteigerinnen und Bergsteiger aufgrund des außergewöhnlich schneereichen Winters ganz unterschiedlich zu beantworten.

Für uns jedenfalls war die Sache klar: drei Teilnehmende waren am Freitagmorgen aus München und Zürich mit dem Zug angereist, um im Gebiet um Galenstock, Gletschhorn, Winterstock und Chli Bielenhorn unter der Leitung von Klaus Miebach ihr Hochtourenkönnen zu verbessern. Dank ÖV-Anreise kamen wir gegen Mittag sehr entspannt in Realp an und stiegen von dort aus zur Hütte auf, wobei uns bereits ab einer Höhe von 2100m eine geschlossene Schneedecke erwartete. Und das war nur ein Vorgeschmack auf die kommenden Tourentage...

Am Samstag wurde unsere Motivation leider erst einmal durch das Wetter ausgebremst, das Regenradar verkündete ergiebigen Dauerregen. Und so nutzen wir den Vormittag auf der Hütte, um etwas improvisiert zwischen Matratzenlager und Hüttenflur die Gletscherspaltenbergung zu wiederholen. Im Anschluss kam Tourenleiter Klaus mit einer kreativen Idee ums Eck: Wir sollten die einzelnen Schritte der Spaltenbergung fotografisch als Schaubilder dokumentieren. Die Visualisierung half, jeden Handgriff nochmals zu überdenken und die Abläufe zu festigen. Am Nachmittag hatten wir dann etwas mehr Glück mit dem Wetter und brachen auf, um die Umgebung zu erkunden. Das Spuren im tiefen und nassen Schnee war sehr anstrengend und eine Teilnehmerin musste bald feststellen, dass sich Gamaschen für das Wochenende wirklich gelohnt hätten...
Wir arbeiteten uns eine steile Firnflanke bis unter das beeindruckende Couloir der Winterstock Westflanke hoch, dass bei besseren Bedingungen sicher eine abenteuerliche und lohnende Tour darstellt. Bei inzwischen strahlendem Sonnenschein setzten wir unsere Spaltenbergungs-Lektion vom Vormittag fort und gruben mehrere T-Anker. Sämtliche Versuche, diese Fixpunkte mit vereinten Kräften aus dem Boden zu ziehen, scheiterten – ein beruhigendes Ergebnis.

Am nächsten Tag erwarteten uns beste Tourenbedingungen und so brachen wir früh auf, um das Gletschhorn über seinen Südgrat (ZS, 4b) zu erklimmen. Der Zustieg kostete uns viel Zeit, weil wir erneut eine steile Firnflanke überwinden mussten, in der man stellenweise hüfttief einsank. Für diese Strapazen wurden wir aber bald danach belohnt: 11 Seillängen mit Schwierigkeiten bis 4b in bestem Furkagranit erwarteten uns! Während die Stände allesamt gebohrt waren, fand beim Klettern der eine oder andere Keil und Friend seinen Platz. Bei wunderschönem Tiefblick auf den tiefblauen Göschenenalpsee und stets den gegenüberliegenden imposanten Galenstock im Blick, arbeiteten wir uns beharrlich weiter zum Gipfel vor. Die Schlüsselstelle in einer Verschneidung hatte es in sich, war aber mit Bohrhaken bestens abgesichert. Vermutlich auch dank der widrigen Verhältnisse im Zustieg waren wir den ganzen Tag die einzige Seilschaft am Grat! Kaum am Gipfel angekommen, machten wir uns schnellstmöglich auf den Rückweg – wir hatten länger gebraucht als geplant und mussten noch mehrere Male durch die schneebedeckte Westflanke abseilen. Die Abseilstände zu finden war dabei kein Kinderspiel, und so waren wir dankbar, als Klaus sein Fernglas zückte und damit die Abseilpiste entdeckte. Als wir nach mehr als 12 Stunden wieder auf der Hütte ankamen, hatten wir uns die leckeren Älplermagronen mit Apfelmus wirklich verdient...

Tags darauf mussten wir uns leider schon wieder auf den Rückweg nach München (bzw. Zürich) machen. Weil wir mit dem Zug unterwegs waren, mussten wir allerdings nicht mehr zurück zu unserem Ausgangspunkt. Daher entschieden wir uns, den Lochberg zu überschreiten und dann Richtung Göschenenalpsee abzusteigen. Dieses Mal gut in der Zeit, erreichten wir früh den Einstieg zum Ostgrat (WS, 2a). Dieser war um einiges leichter als der Grat am Vortag und so rechneten wir nicht mir nennenswerten Schwierigkeiten. Vor Ort wurden wir dann aber (mal wieder) von der außergewöhnlichen Schneesituation überrascht: im Grat lag noch so viel Schnee, dass wir uns schweren Herzens gegen die Begehung entschieden und umdrehten. Ohne Gipfelglück, aber trotzdem mit bester Laune stiegen wir ab. Die Rösti im Tal schmecken nach solchen Tourentagen gleich nochmal besser...

Theresa List