© Jutta Seyfried

Durch die Gefriertruhe ins Gletschertor

Skihochtour Rotondohütte

02.01.2025

Im Hochwinter auf Skihochtour in die Schweiz? Klingt spannend, eigentlich schade, dass ich nur auf der Warteliste bei Jan gelandet bin. Da noch Plätze auf der Rotondohütte frei waren, hatte Zeno spontan angeboten - neben Jan - eigenverantwortlich eine zweite Gruppe zu führen.  

Nach langer Anreise aus München sind beide Gruppen gemeinsam gegen Mittag von Realp (1.538 m), Kanton Uri, auf der Witenwasseren-Straße zur Hütte (2.570 m) aufgestiegen. Da eine lange Wegstrecke und rund 1.040 Höhenmetern mit schweren Hochtouren-Rucksäcken zu bewältigen war, sind wir erst nach gut 4 Stunden grade so mit dem letzten Licht angekommen.  

Nach dem Abendessen haben uns die beiden Tourenführer Jan Rehm und Zeno Göschl gesagt, dass wir nicht in einer großen Gruppe mit 13 Leuten auf Tour gehen, sondern dass jeder Leiter mit seinen Leuten seine eigenen Touren planen und durchführen würde.

Die Hüttenwirtin Pia meinte, dass grade eine Schönwetterphase zu Ende ging - die Tage zuvor seien sie noch im Pullover auf der Terrasse gesessen.

Im Lager hatte es Kühlschrank-Temperaturen (9 Grad), sodass selbst die Frischluftfans unter uns nicht auf die Idee kamen ein Fenster zu öffnen. Über Nacht hatte es 10 bis 20 cm geschneit, daher mussten die im Vorraum der Hütte geparkten Skier erst einmal vom Schnee befreit werden. Gegen 8.30 Uhr sind wir, das Team Zeno, bei Gefriertruhen-Temperaturen (-15 Grad) und Wind zum Witenwasserenpass (2.805 m) aufgestiegen und dann im pulvrigen Schnee als Erste zum Gerengletscher auf 2.500 m gewedelt. Weiter ging es am Seil Richtung Passo Pesciora (2.970 m) bergauf. Abfahrt seilfrei zum Ausgangspunkt, erneut feinster unverspurter Pulver allerdings mit etwas Vorsicht, da im oberen Teil ein paar Steine lauerten. Nach kurzer Pause in der Sonne hat uns ein Südhang angelacht, dem wir rund 300 Höhenmeter gefolgt sind. Bei den frostigen Temperaturen war auch dieser Hang mit 30 Zentimeter feinster Pulverauflage auf tragendem Harschdeckel ein einziger Abfahrtsgenuss. Zurück ging es  über das beeindruckende Gletschertor, bei dem wir das Team Jan trafen. Einige von uns haben die riesige Höhle mit blankgefrorenem Wasser - teils mit Steigeisen und Pickel - erkundet, und zum Spaß Eisschrauben gesetzt.  

Auch Team Jan hatte ähnliche Abfahrtsfreuden und „first lines“ wie wir. Der Tag war allerdings so kalt, dass viele von uns mit Daunenjacken aufgestiegen sind und diese ganztags nicht wieder ausgezogen haben.

Anderntags sind wir, das Team Zeno, bei frischen minus 9 Grad zum Leckipass (2.892 m) losgezogen, um dann nach und 20 Höhenmetern Abstieg mit Skiern am Rucksack in Richtung Nordwest zum Muttengletscher hinunterzufahren. Wieder ein Highlight! Unser Ziel war das Groß Muttenhorn (3.062 m). Zeno hat eine lehrbuchmäßige Spur in den steilen Hang gelegt, der wir mit 10 Metern Entlastungsabständen (Lawinenlage 3) bis zum Skidepot auf knapp 3.000 Metern gefolgt sind. Dort war starker Wind, sodass die meisten von uns keine großen Ambitionen auf den ausgesetzten abgeblasenen Grat zum Gipfel hatten. Weitere nachkommende vier Tourengeher - auch USC’ler, allerdings privat unterwegs - waren ebenfalls von dieser Spur begeistert. Danach perfekte Abfahrt, in einigen Bereichen einzeln bis zum Muttengletscher und erneuter Aufstieg bis zum Skidepot Groß Leckihorn. Den letzten verharschten Hang haben wir mit Steigeisen und Pickel bis zum Gipfelkreuz (3.068 m) gemeistert. Unser einziger Gipfel auf dieser Tour! Was für eine grandiose Fernsicht, insbesondere ins Wallis und ins Berner Oberland.

Auch Team Jan hat uns an diesem Tag von schönen Pulverschnee-Abfahrten vorgeschwärmt.

Am Abend hat uns Josefine aus dem Team Jan mit Ihrer lustigen Skizze ihrer Gruppe)im Hüttenbuch beeindruckt. Nach so vielen Höhenmeter haben wir uns auf das Abendessen gefreut. Wie immer gab es reichlich Nachschlag. Vegetarisches und Fleisch wurde zwischen unseren Tischen eifrig hin- und hergetauscht.

Es wurde wärmer. Nach etwas Schneefall über Nacht war zunächst der Plan des Teams Zeno Richtung Pizzo Lucendro (2.963 m) zu gehen. Nach der ersten Abfahrt bis Oberstafel auf 2.200 Metern hatte es schon Plusgrade und der schwere Schnee ließ wenig Abfahrtsfreuden aufkommen. Zudem hatte sich ein kleines Schneebrett gelöst, und wir waren vom Schnee der Vortage verwöhnt. Der Weiterweg zum Gipfel sah wenig einladend aus, die Hänge waren abgeblasen und die Sicht schlecht. Wir sind daher über einen Rundweg rund 400 Höhenmeter mit stollenden Fellen zur Rotondohütte zurückgekehrt.  

Nach längerer Mittagspause in der Hütte und kurzer Beratschlagung hatte Hendrik die geniale Idee Spaltenbergung zu üben. Wir hatten ja die gesamte Gletscherausrüstung dabei. Das grandiose Gletschertor bot sich hierzu regelrecht an. Zunächst haben wir T-Anker gegraben und eine Hintersicherung unter guter Anleitung von Zeno gebaut. Wer wollte, durfte gesichert in einer 3er-Seilschaft mit Skiern über die große Wechte des Gletschertores fahren. Joachim war der erste Freiwillige. Mit fachkundigen Tipps unseres Leiters haben wir die Positionen zweiter und dritter Mann geübt. Team Jan (Clemens, Jan, Josefine und Katharina) kamen uns - auf dem Rückweg Ihrer Tour - von der anderen Seite „zu Hilfe“, denn die Kommunikation über den Spaltenrand hat nicht funktioniert. Auch das Handling mit der Seil-Rücklaufsperre, Micro Traxion, und der Steigklemme, Basic, war nicht so einfach. Mit tatkräftiger Unterstützung von Jan und Clemens haben wir Joachim dann letztendlich bis zum Boden des Gletschertors abgelassen. Das ganze Procedere haben wir auf Vorschlag von Jan nochmal trocken geübt. Danach war Hendrik das freiwillige „Opfer“, dieses Mal ging es schon besser mit der Bergung. Am Schluss wollte Markus sich noch selbst aus der „Spalte“ hochprusiken, was jedoch nicht so ganz einfach war, da sich der Prusik versehentlich in die Gardaklemme gezogen hatte, daher erneut vorsichtiger Mannschaftszug, insbesondere über den Spaltenrand.

Wir haben sehr lange geübt, sodass wir erst nach Einbruch der Dunkelheit - der Mond war schon aufgegangen - wieder an der Hütte waren. Aufgrund der schlechten Wettervorhersage waren alle anderen Gäste abgereist. Die Hüttenwirtin hat mit Älpler Makkaroni, gespickt mit Birnen, Kartoffeln und Salbei, einer Schweizer Spezialität, aufgewartet. Und wieder einmal hat uns Josefine mit Ihrem genialen Zeichen-Talent, diesmal der Skizze des Teams Zeno, überrascht und im Hüttenbuch verewigt.

Den langen Abend haben wir mit lustigen Gesprächen und Durchsicht der Foto-Jahresbücher der Rotondohütte ausklingen lassen, sodass die Hüttenwirtin sogar noch vor uns ins Bett ging.

Die letzte Nacht hat es heftig gestürmt. Nach einem gemütlichen Schweizer Frühstück hatte keiner von uns mehr Lust bei Wind und schlechter Sicht noch irgendwo aufzusteigen. Jan und Zeno haben uns dann alle gemeinsam auf der harten abgeblasenen Forststraße sicher ins Tal nach Realp navigiert, was aufgrund der starken Böen und des diffusen Lichts eine kleine Herausforderung war. Alle waren froh, als wir unten heil angekommen waren.

Danke an beide Führer, die Autofahrer, die Seilträger und die Teilnehmer für diese schöne gelungene - wenn auch frostige - Tour!

Jutta Seyfried