© Hermann Göb

Abseilen, sichern, kraxeln, klettern

Klettersteigwoche in der Brenta

06.07.2024

„Die Klettersteigrunde Via delle Bocchette durch die Brenta-Dolomiten gilt als eine der schönsten Via Ferrata der Welt. Wenn man einmal die legendären Eisenwege gegangen ist, versteht man auch warum. Nicht allzu schwer. Und hinter jeder Felsecke präsentiert sich ein neues Panorama. Für Klettersteigfreunde ein absolutes Muss. […]“

Durch solche Berichte hat sich wohl so mancher und so mancher und manche von uns Teilnehmer*innen für die Anmeldung zu dieser Klettersteigwoche inspirieren lassen. Dazu die Fotos von Dolomitenwänden wie aus dem Bilderbuch, von der ein oder anderen Eisenleiter und von glücklichen Alpinist*innen, die, nur mit Shorts und T-Shirt bekleidet, lächelnd in die Kamera winken…

Dann kam zwei Wochen vor dem Start die erste E-Mail von Franz, unserem Guide. Sein Kommentar: „Da schaue ich in die erste Webcam und will instinktiv erstmal in die Ski statt in einen Klettersteig steigen – sogar der Snowpark scheint noch halbwegs zu stehen…“ Weiterhin teilte er uns mit, welche Ausrüstungsgegenstände wir zusätzlich mitnehmen sollten: Grödel oder Steigeisen, Pickel, Safelock-Karabiner und Kurzprusik, zudem am besten Fingerhandschuhe und Gamaschen. Moment mal – gehen wir jetzt Klettersteige oder wird das eine Hochtour…?

Am Ende haben wir folgendes gemacht: Hochtour gehen, Klettersteig gehen, in einer Seilschaft am Seil gehen, am Fixseil gehen, am Seil abgelassen werden, abseilen, helfen einen Standplatz zu bauen, sichern, kraxeln, klettern, durch den Schnee buddeln, durch den Nebel stochern, im Schnee talwärts rutschen, springen, hüpfen, wandern und dergleichen mehr.

Wie gut, dass wir Franz als Guide dabeihatten, denn: Die ungewöhnlichen Verhältnisse machten flexibles Vorgehen notwendig – und darin ist Franz ein Meister! Das bedeutete aber auch, dass wir einige Sachen einüben mussten. So bestand er darauf, gleich am Tag 1 beim Aufstieg nach Erreichen durchgehender Schneefelder ein Sturztraining durchzuführen – hüpfend, springend, sich nach unten werfend, auch ein Salto war erlaubt. Ebenso übten wir am Abend in der Hütte im „Trockenen“, am Fixseil zu gehen und zu sichern, damit es draußen dann schnell gehen konnte. Genauso wichtig waren die abendlichen Besprechungen und Routenplanungen zur psychologischen Vorbereitung darauf, dass es eben nicht nur ein spielerisches Tänzeln am Klettersteig in Shorts und T-Shirt werden würde.

Was haben wir erlebt bzw. was mussten wir nicht erleben?

Am Tag 1 haben wir dank der klugen Entscheidung des Guides nicht den ganzen Sentiero Alfredo Benini genommen, obwohl er uns schon reizte. Damit ersparten wir uns das Schicksal der vier vor uns gehenden Italiener, die in schwierig abzusicherndem Gelände spät umdrehen mussten und beim Hüttenwirt anriefen, dass sie nicht kommen.

Am Tag 2 haben wir nicht den Sentiero delle Bocchette Alte, sondern den Sentiero SOSAT genommen. Damit ersparten wir uns ebenfalls eine vermutlich brenzlige Situation. Die zwei einzigen Alpinisten, die dort eingestiegen waren, benötigten mutmaßlich sogar Hilfe der Bergwacht. Am SOSAT gab‘s dann eine gemütliche Wanderung durch Riesen-Dolomitblöcke mit einigen Leiterpassagen, Edelweiß und früher Ankunft zum Kaffee an der Alimontahütte.

Am Tag 3 kam die Königsetappe. Auf dem Sentiero delle Bocchette Centrali hatten wir dank der umsichtigen Führung das Vergnügen, sieben Schneefelder sicher zu überwinden und inmitten von Bilderbuch-Dolomitwänden lässig in unsere Kameras zu lächeln. Andere Gruppen trauten sich die Etappe erst gar nicht zu, bzw. kehrten vorher um. Am Nachmittag erreichten wir über gefühlt kilometerlange Schneefelder auch den Sentiero Brentari, der „nur” noch drei weitere Schneefeldschlüsselstellen für uns bereithielt. Eine kleine Schnittverletzung am Finger wurde fachgerecht desinfiziert und verbunden - danke an unsere Ärztin Jutta! Und nach kurzer Gletscherseilschaft, welche die knapp Zwölfstunden-Tour abschloss, wurden wir auf italienische Art zum Abendessen auf der Silvio-Agostini-Hütte empfangen.

Am Tag 4 haben wir nicht den Sentiero d’Ambiez, sondern den Sentiero Castiglioni genommen, wo wieder einige Edelweiß am Blühen waren. Nach Kaffee & Kuchen am Rifugio XII Apostoli wurde unsere Brenta-Tour mit einem Abstecher zum Valagola-See gekrönt, wo wir uns mit einem Sprung ins kristallklare Wasser abkühlten. Auch auf dem Heimweg durfte eine kulinarische Verstärkung nicht fehlen. In einem Restaurant mit Blick auf das Brenta-Massiv ließen wir unsere Erlebnisse Revue passieren und genossen die in diesem Augenblick beste Pizza Italiens sowie das beste alkoholfreie Bier der Welt.

Nach Meinung aller Teilnehmer*innen eine gigantische, unvergessliche Tour, und an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an unseren Tourguide Franz!

Hermann Göb